Würdevolles Sterben im eigenen Zuhause

Spezialisten für ambulante Palliativ-Versorgung für eine Versorgung im eigenen Zuhause

Spezialisten für ambulante Palliativ-Versorgung

Tassilo, Ausgabe 33 (November/Dezember 2020), Seite 40 – 41

Der Tod gehört zum Leben. Viele Menschen setzen sich trotzdem nicht damit auseinander. Bis ins hohe Alter nicht. „Er ist nach wie vor ein Tabuthema in unserer Gesellschaft, dabei kann er von uns allen nicht früh genug geplant werden“, sagt Claudia Kümmerle. Die Geschäftsführerin von Palliahome e.V. erlebt im Falle des Falles immer wieder Unstimmigkeiten, allen voran in Kreisen der Angehörigen sterbender Menschen. Sie stellen sich häufig zu spät die entscheidende Frage: Wie möchte ein Mensch die letzten Wochen seines Lebens wirklich verbringen? Die schönste Vorstellung für viele: Zuhause. Im eigenen Bett. Im Kreis der Familie.

Symptome wie massive Schmerzen aufgrund schwerster Krankheiten zwingen Angehörige jedoch häufig dazu, ihre Liebsten letztlich doch ins Krankenhaus zu bringen. An einen Ort mit fremden Betten, fernab der Familie, oft hinein in unterbesetzte Abteilungen, wo ausreichend Empathie gar nicht vorhanden sein kann. Doch das muss nicht sein. Wenn Ärzte die Krankheit eines Menschen nicht mehr behandeln können, der Tod sicher eintreten wird, gibt es auch die Möglichkeit einer professionellen, medizinischen Versorgung „Dahoam“. An dieser Stelle kommt das Team von Palliahome ins Spiel, spezialisiert auf ambulante Palliativversorgung. Sechs Ärztinnen in Teilzeit sowie fünf Palliativfachkräfte in Festanstellung sorgen dafür, dass sterbende Menschen ihre letzte Zeit des Lebens so angenehm wie möglich verbringen können – und zwar Zuhause. Gegründet wurde Palliahome im Jahr 2011. Zunächst als gemeinnütziger Verein. Damals mit ein bis zwei Ärztinnen und Palliativpflegekräften, die sich nebenbei ehrenamtlich engagierten. Aufgrund rasch wachsender Nachfrage dieses in der Region einzigartigen Dienstes wuchs die Teamstärke schnell an – und aus dem Ehrenamt wurde ein Gewerbe. Inzwischen arbeiten die Experten von Palliahome für schwerstkranke Menschen und deren Angehörigen im kompletten Landkreis Weilheim-Schongau, in und um Pöcking, Tutzing und Herrsching sowie – je nach Anfragen – auch mal wenige Kilometer über das eigentliche Einzugsgebiet hinaus. Sitz der Ambulanten Palliativversorgung, die übrigens zu 100 Prozent von gesetzlichen Krankenkassen getragen wird, ist am Kirchplatz 3 in Polling. Dort befindet sich auch der Hospizverein, der zwar eng mit Palliahome zusammenarbeitet, jedoch nicht direkt damit zu tun hat. „Wir werden oft mit dem Pollinger Hospiz verwechselt oder gehen an dessen Seite in der Wahrnehmung ein wenig unter, dabei sind wir ein komplett eigenständiger Dienst, der im Grunde nur durch Zufall im gleichen Gebäude sitzt wie das Pollinger Hospiz.“ Diese Klarstellung ist Claudia Kümmerle wichtig.

Anruf des Hausarztes

Einer ihrer Palliativfachpfleger heißt Michael Rapp. Der 30-Jährige wusste schon früh, dass er in der Palliativmedizin arbeiten möchte. „Weil es medizinisch sehr komplex und vielseitig ist. Und man nie auslernt, wenn es darum geht, den Sterbeprozess schwerkranker Menschen medikamentös und nicht-medikamentös zu erleichtern – und damit Lebensqualität zu erhalten“, sagt er über seine Motivation, diesen außergewöhnlichen Beruf auszuüben. Nach einer Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfl eger bestritt er die einjährige Zusatzausbildung „PalliativCare“ – dieser Werdegang ist Pflicht, um als Pflegekraft für Palliahome arbeiten zu dürfen. Darüber hinaus setzte er als Zuckerl eine Ausbildung zum Praxisanleiter sowie eine Zusatzausbildung in Schmerztherapie obendrauf.

Ein klassischer Arbeitstag kann bei ihm so aussehen: Das Handy klingelt. Ein Hausarzt ruft an. Der berichtet von einer Patientin mit einer unheilbaren, weit fortgeschrittenen Erkrankung, die sich im Sterbeprozess befindet und im Zuge dessen über starke Schmerzen klagt – und dafür den Dienst von Palliahome in Anspruch nehmen möchte. Mit allen wichtigen Patienteninformationen über Alter, Wohnort, Kontaktadressen sowie Krankheiten und Schmerzsymptomen koordiniert Michael Rapp dann die ärztliche und pflegerische Aufnahme der Patientin. Mit Laptop, Handy, Notfallkoffer und Betriebswagen macht er sich schließlich auf den Weg zur schwerkranken Frau. Dort angekommen, nimmt er weitere wichtige Daten der Neu-Patientin auf. Dazu gehört auch das Kennenlernen sowie die Aufklärung der Angehörigen. Zum Beispiel Beratung und Begleitung in Themen wie Atmung, Ernährung und Pflege von Sterbenden. „Dafür nehmen wir uns bewusst viel Zeit.“ Neben dieser Beratung liegt die Hauptaufgabe von Michael Rapp darin, die von einer Palliativmedizinerin angeordneten, starken Medikamente, allen voran in Notfallsituationen, zu verabreichen, gegebenenfalls eine Pumpenversorgung einzuleiten oder Zu- und Ableitungen anzulegen. Es wird alles getan, damit die Frau möglichst wenig bis gar keine Schmerzen mehr hat, gleichzeitig aber auch keine Nebenwirkungen auftreten – ein schmaler Grat, der verdammt viel Fachwissen und Erfahrungsschatz voraussetzt. Je nach Schwere der Krankheit und Massivität der Schmerzsymptome ist Michael Rapp entweder alleine bei den Patienten von Palliahome, oder in Begleitung einer Ärztin. Mal in Form einer klassischen Aufnahme eines Neu-Patienten. Mal in Form eines Notfalls, weil es bei einem bereits registrierten Patienten nochmals schlimmer geworden ist.

Schicksale, die unter die Haut gehen

Zwischen 25 bis 30 Patienten werden bei Palliahome im Schnitt betreut. An manchen Tagen müssen Rapp und Kollegen nicht ausrücken, an anderen dafür umso öfter. Reichlich zu tun haben die Ärztinnen und Pflegekräfte jedenfalls immer. „Der Bürokratiewahnsinn geht auch an uns nicht vorbei“, sagt Claudia Kümmerle. Umso wichtiger sind ihr kompetente Mitarbeiter, die in allen Bereichen zuverlässig arbeiten. Die Basis dafür: Gute Bezahlung, ein freundschaftlich- familiäres Miteinander und eine gehörige Portion gesunder Humor. Letzterer ist wichtig, um die zahlreichen Schicksale, die alle Palliahome-Mitarbeiter immer wieder aufs Neue hautnah miterleben, gut verarbeiten zu können. Dabei helfen auch zahlreiche schöne Momente in diesem außergewöhnlichen Beruf. „Grundsätzlich ist es schon ein tolles Gefühl, unser Ziel zu erreichen – dem sterbenden Menschen die letzten Tage im Kreis seiner Familie so schön und einfach wie möglich zu gestalten“, sagt Michael Rapp. Es gibt aber immer wieder Erlebnisse mit den Patienten, die weit mehr unter die Haut gehen. Tatsächlich öfter vorgekommen: Patienten, die vom Arzt bereits im Krankenhaus aufgegeben wurden und nach dessen Aussage nur noch wenige Tage oder Wochen zu leben haben, erholten sich in ihrem eigenen Zuhause plötzlich wieder. „Meistens, ohne es medizinisch erklären zu können“, sagt Michael Rapp, der aufgrund solcher Erlebnisse eine ganz andere Sicht auf das Leben gewonnen hat. „Diese Momente zeigen immer wieder eindrucksvoll, dass wir Menschen weit mehr sind als ein Körper – und es da mehr gibt, völlig gleich, welche ethnische Sicht man aufs Leben hat.“

Es gab sogar schon Fälle von Patienten, die anstelle weniger Tage mehre Monate, ja sogar Jahre gelebt haben – und wieder eigenständig zum Einkaufen gegangen sind. Die bevorstehende Geburt eines Enkelkindes, der noch ausstehende Besuch der seit Jahren im Ausland lebenden Tochter – es gibt viele Gründe für dieses überraschende „Berappeln“. Nur ein konkreteres Beispiel, das Michael Rapp miterleben durfte: „Wir hatten eine Patientin, 95 Jahre alt, bei der über mehrere Tage hinweg medizinisch betrachtet alles dafürgesprochen hat, dass es jeden Moment vorbei sein muss – doch sie wollte einfach nicht von uns gehen.“ Hintergrund war: Einer ihrer Söhne, ein schwieriger Kerl, hat mit 21 Jahren sehr früh das Zuhause verlassen, kam seither nie wieder zurück. Sein Bruder machte sich auf die Suche, hat ihn gefunden, ist mit ihm gemeinsam ans Sterbebett, wo er sich vor den Augen der Mama mit ihm vertragen und sich liebevoll verabschiedet hat. Kurz darauf konnte sie loslassen und verstarb.

Text und Bild:
Johannes Schelle, leitender Redakteur
TASSILO – MAGAZIN RUND UM WEILHEIM UND DIE SEEN